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Permanente Sehnsucht und Verlangen

Liebe Freunde, liebe Interessierte an meiner Arbeit,

es ist so eine Sache mit den runden Geburtstagen - etwas nachdenklich bin ich nun 60 geworden.
Für mich ein bewusster Übergang, da ich das Leben in Dritteln betrachte. 
Bis 30 oft noch sehr suchend, ab 30 in der Verwirklichung des Gefundenen und ab 60 unterwegs mit der Frage: War das alles?

Oder besser dem Ausruf: Da ist doch noch mehr!

Ich nenne diese Zeit dritte Lebenshälfte, denn wenn ich die eigene und bewusste Zeitspanne von 30 bis 60 nehme, dann warten da ja noch weitere 30 Jahre, die gestaltet werden wollen. 
Ich möchte in dieser Zeit meinem Alter angemessen arbeiten, so lange es möglich ist. Meine Arbeit bestand immer aus dem:  Menschen unterstützen etwas zu realisieren, Lösungen finden, Gruppen führen. Ob nun in Firmen als IT Projektleiterin oder jetzt als systemische Beraterin. Persönlich oder in Gruppen, beides mag ich sehr. 

Die vielen Wünsche für Glück im neuen Lebensjahr - und wir nennen es ja auch Glückwünsche - inspirieren mich zu diesem Newsletter. Wobei ich es vielleicht besser Geschichtenbrief nennen sollte. Denn News habe ich nicht wirklich, die Termine für Aufstellungstage sind auf meiner Website, Einzelberatung auf bekannten Wegen kann dort gebucht werden. 
Hier erzähle ich heute, wie Aufstellungsarbeit glücklich machen kann. Denn, wenn wir ehrlich sind, wir sind doch permanent voller Sehnsucht und Verlangen. Ich vermute, das nennt man lebendig sein? 

Und wohin soll die Sehnsucht führen? Ins Glück, in das Glücklichsein. 
Und wenn wir dann glücklich sind? Wie lange hält es? Eine Stunde? Einen Tag? Ein Jahr? Ein ganzes Leben? Halten wir permanentes glücklich sein überhaupt aus?

Heute habe ich gelesen, Glück ist wie Geruch. Wir kommen in einen Raum, mit einem Geruch, der uns gefällt und glücklich macht. Frisches Brot duftet gut, frisch gemahlener Kaffee, das Meer, ein Kiefernwald, doch wie lange riechen wir diesen Duft?
Er bleibt, doch wir gewöhnen uns an ihn. Und nehmen ihn beim zweiten Mal weniger wahr, dann erwarten wir ihn fast und dann...
Dann wird er normal. Normales Glück. Ich nenne es Zufriedenheit, Zufriedenheit im Alltag. Zufriedenheit finden bei frischem Brot und duftendem Kaffee. Oder durch ein Kiefernwäldchen laufen und schon von weitem das Meer rauschen hören und der Duft der Kiefern mischt sich mit dem Duft des Meeres.
Zufriedenheit, stilles, leises Glück stellt sich ein.

In meiner Aufstellungsarbeit, die ich so liebe, beschäftige ich mich mit diesem „glücklich werden“, mit dem #hinzu und vor allem mit dem "zufrieden sein".
In Frieden mit dem, was ist und mit dem, was war. Denn Vergangenheit ist alternativlos. Es geht darum, mit dem, was noch in uns nachwirkt, in Frieden zu kommen.
Oft suchen wir danach, haben Momente von Glück, doch Zufriedenheit stellt sich nicht ein.

In meinem Verständnis klopft etwas aus der Vergangenheit an. Ein Mangelgefühl, ein Ärger, eine Unzufriedenheit, eine Sehnsucht und viele andere Gefühle, die uns nicht in Frieden kommen lassen.

Bücher lesen bringt nichts, Gespräche drehen sich im Kreis, zwanghafte Verhaltensänderungen sind nicht durchzuhalten - und voila, der alte Zustand ist wieder da.

Hier liegt für mich der große Dienst der Aufstellungsarbeit. Ein Phänomen, das uns zeigen kann, was da klopft. Und dann stellt sich Erkennen und Ruhe ein. Einfach so.

Es ist magisch und Magie darf ruhig wieder mehr in unser Leben kommen. Liebe ist ja auch Magie. Oder haben Sie je Liebe mit dem Verstand gefunden? 

Und nun erzähle ich - mit dem Einverständnis eines Teilnehmers meines Aufstellungsseminars - seine Geschichte. Danke, dass ich diese hier teilen darf. 
Und danke, wenn Sie sich Zeit nehmen, diese zu lesen. 


Ich nenne ihn einfach mal Peter. Peter kam über seine Freundin, mit der er sieben Jahre zusammen war, zu mir. Sie hatte das Gefühl, er entfernte sich immer mehr von ihr. Sie wünschte sich körperliche Nähe und liebevolles Miteinander im Alltag, doch diese entstand einfach nicht. 
Obwohl beide sich als Paar empfanden, zog Peter in eine eigene Wohnung, ging also auf Distanz. Seine Freundin war verzweifelt, verständlich, wenn unter allem doch Liebe liegt. Und wie das Leben so mithilft, meldete sich eine vergangene große Liebe bei ihr. 
Was nun?

Die Freundin bat ihn mit zu einer Aufstellung zu kommen: "Einmal nur, komm einmal mit, einmal nur. Bitte.“ Nun ja, Peter war dabei, schaute zu, war überrascht, stand in Stellvertretungen (immer mit dem Gefühl, er fühle nichts) und entschloss sich im Laufe des Tages, selbst aufzustellen. Was möglich ist, wenn das Tagesseminar nicht ausgebucht ist. Ja, was willst Du denn aufstellen? Sein Wunsch war, sich und seine Mutter und seine Schwester aufzustellen. Da wäre was.

Ich bin während meiner Seminare immer im wissenden Feld. Auch in den Pausen, auch wenn wir mittags auswärts essen gehen. Ich liebe es, in diesem Feld zu sein.
Zu sehen, zu fühlen, zu hören und plötzlich zu wissen.

Und so hatte ich Peter in den Pausen sprechen hören, von Rauschmitteln, die er nahm, aber auch von einem Kloster, in welchem er sich wohl fühlte.
Also sagte ich ihm, ich vermute, er hat eine „All-Eins“ Sehnsucht, er sucht etwas, was ihm fehlt. Das im Alltag nicht da ist. Und auch mit der Freundin nicht lebbar.

 

Ich entschloss mich, nur Peter aufzustellen in seinem Lebensstufen. Das ist eine Aufstellungsform von Wilfried Nelles, der Lebensintegrationsprozess kurz LIP genannt.
Man schaut in die Lebensstufen eines Menschen. Stufe 1 ist die Zeit ab der Zeugung, bis wir unser Umfeld und uns bewusst - also getrennt - wahrnehmen. Stufe 2 ist das kleine Kind. Stufe 3 ist die puberträre Zeit bis zum Erwachsenwerden. Stufe 4 ist der junge Erwachsene. Stufe 5 der reife Erwachsende. Stufe 6 der alte (weise) Erwachsene, Stufe 7 der Tod. Diese Stufen standen als Zahl auf Zetteln, die ich im Kreis auslegte. (Das Prinzip ist in zahlreichen Büchern von Wilfried Nelles nachzulesen, doch erfahrbar natürlich nur in den Seminaren bei Wilfried Nelles.)

Peter stellte sich auf die 4 - der Lebensstufe, in der er sich wahrnahm. Für die Stufe 1, 2 und 3 wählte er Stellvertreter, die ihre Position auf den Zetteln einnahmen.

Rasch zeigt sich, dass die Stellvertreterin auf Stufe 1 nicht mehr stehen konnte und so empfahl ich ihr, dem Gefühl nachzugeben. Sie sackte in sich zusammen und kauerte am Boden. Die Stellvertreterin auf Stufe 2 wankte stark und blickte auf den Boden. Die Stellvertreterin auf Stufe 3 war kraftvoll, beweglich und wütend auf die Schwäche der Positionen 1 und 2.
Peter schaute nun auf sich in seinen Lebensstufen und Stille und Unverständnis aller Teilnehmer entstand im Raum. 

Aufstellungsarbeit bedeutet vor allem warten. Hinsehen und warten.

 

Stufe 1 wand sich, weinte, konnte nicht aufstehen und zeigte deutlich, dass sie nicht geboren werden wollte. Stufe 2 wankte stärker und wurde schwächer. Stufe 3 immer hilfloser und wütender.
Wir warteten auf eine natürliche Bewegung, eine Veränderung in den Positionen. Doch nichts geschah. Ich konnte Peter anschauen, ganz klar, er war geboren. Groß und kräftig da. Arbeitet in seinem Handwerk körperlich schwer, also, was fehlte dort am Anfang des Lebens, um ganz ins Leben zu gehen?
Und es fehlte ja bis jetzt, sonst würde es sich ja nicht zeigen. Es fehlte immer noch.

Plötzlich wusste ich es. Ein Zwilling. Ich bat eine Teilnehmerin, sich in embryonaler Haltung zu der Stellvertreterin in Stufe 1 zu legen.

Hier zeigte sich eine Qualität und Bereitschaft, die sich entwickelt, wenn man öfter in Stellvertretungen gestanden hat. Man dient mit seinem Körper, man lässt sich führen, einfach so. So legte sich die Teilnehmerin zur Stufe 1 und diese wurde ruhiger. Alles wurde ruhiger. Wir schauten dieser Innigkeit zu und ließen es geschehen. Dann sagte die Stellvertreterin in Stufe 1 „ich will dich nicht allein lassen“.
Wieder schaute ich Peter an und wusste, doch, das war geschehen. Er war ohne seinen embryonalen Zwilling geboren. So ließ ich die Repräsentantin des verlorenen Zwillings sagen: „Nicht du lässt mich allein, ich lasse dich allein. Du musst allein gehen. Ich bin nur ein Stück mitgekommen, damit du dich traust“.
Wieder warteten wir, bis die Stellvertreterin der Stufe 1 diese Worte annehmen konnte. Nun zog sich, auf meine Vorgabe hin, der verlorene Zwilling langsam zurück und die Teilnehmerin setzte sich wieder auf ihren Platz.
Die Stellvertreterin der Stufe 1 wurde ruhiger und kraftvoller und konnte sich erstmals hinknien und alle anblicken. Ein erster Blickaustausch mit Peter war da. Ich ließ ihn sagen: „Schau mich an, wir sind geboren. Es ist gut gegangen, Ich danke dir!“
Nun befragte ich die Stellvertreterin der Stufe 2, wie es ihr geht. Sie sagte, sie hatte die ganze Zeit über ebenfalls das Gefühl gehabt, nicht leben zu wollen. Es wäre auch jetzt noch so, wo sich die Stufe 1 aufgerichtet und mittlerweile aufgestanden war. Es würde sie ruhiger machen, aber gut fühle es sich nicht an. Beide Stellvertreterinnen nahmen sich in den Arm und dann an die Hand. Die Stellvertreterin der Stufe 3 war beruhigt, die anderen beiden zu sehen und hatte wirklich große Lust, dass es nun „losgeht“.

 

An der Stelle habe ich die Aufstellung beendet. Peter erzählte dann von seiner Mutter, den vielen Fehlgeburten und dem großen Glück, als er geboren wurde. Und von seiner schweren Zeit, wirklich leben zu wollen. Er erkannte sich in dem Gefühl, was sich gezeigt hat. Nahm das, was er gesehen hat, als zu im gehörend an. 

Und das Schöne & Wunder der Aufstellungsarbeit: er war verändert. Liebevoll im Alltag, die Beziehung, das Miteinander mit seiner Lebenspartnerin ist innig und nah.

Ich musste immer schmunzeln, wenn sie mich Tage und Wochen danach ungläubig fragte: "Bleibt das?" Ja es blieb. 
 

 


Lösungen in der Aufstellungsarbeit geschehen, wir machen diese nicht. Es ist unsere Sehnsucht und unser Verlangen, die uns zur Lösung und damit Erlösung führen. 

Die nächste Möglichkeit dazu in der Gruppe im Tagesseminar gibt es am

Sonntag, 22.Oktober 2023 von 10:00 bis 18:00 Uhr in Potsdam. 

Nähere Informationen hier auf meiner Webseite: Tagesseminare - systemische Aufstellungen

Ich freue mich, wenn ich Sie ein Stück auf Ihrer Lebensreise begleiten darf. 

#hinzu dem, das Sie glücklich macht. 

Ihre Eva Maria Gutt